Das Kloster Steinbach liegt ein paar Büchsenschuß vom gräflich erbachischen Schloß Fürstenau und verfällt immer mehr und mehr. Nachts hört man oft dort einen feinen Gesang, wie von drei Stimmen; viele auch haben drei Gestalten gesehen, welche aus dem der Kirche anstoßenden Pfaffengang kamen, durch den Baumgarten schwebten und verschwanden. Ein Mann der spät abends an der Klostermauer vorbeiging, sah eine wunderschöne Nonne in weißen Gewändern da stehen. Auch hört man nachts des Öfteren Lärm im Kloster, als ob alles darin untereinander geworfen würde, findet aber am nächsten Morgen alles in bester Ordnung.
Einem Mädchen erschien die Nonne dreimal um Mitternacht und versprach ihm die ewige Glückseligkeit, wenn es mit ihr ins Kloster gehen wolle. Dabei klagte sie sehr darüber, daß sie jetzt schon seit 500 Jahren zwischen Himmel und Erde schweben müsse. Das Mädchen aber schlug es ihr dreimal ab, worauf sie wehklagend verschwand.
Dieselbe Nonne erschien auch einer Frau die in der Nähe wohnte und bat sie ihr zur Erlösung zu verhelfen und in der kommenden Nacht zum Pfaffengang zu kommen. Die Frau, der das schauerlich war sprach „Ich will gern kommen, aber ihr müsst mir erlauben jemanden mitzubringen“. Da seufzte die Nonne und sprach „Das dürft ihr wohl, aber es darf nichts Unreines sein, sonst ist alles umsonst“. Als die Frau sich mit ihrer Nachbarin nachts dem Pfaffengang näherte jammerte die Nonne sofort laut auf „Du hast ein Unreines mitgebracht und jetzt kann ich auf lange Zeit nicht mehr erlöst werden“. Zugleich ward sie verschwunden. Einige Zeit nachher erfuhr die Frau, daß ihre Nachbarin in Unzucht mit einem Mann aus dem Dorfe lebe.
Zuletzt wurde die Nonne vor einigen Jahren, in einer lauen, hell erleuchteten Vollmondnacht von einem Burschen gesehen. Unter dem weissen, lichtdurchfluteten Schleier sah er ein wunderschönes Gesicht, welches wie gemalt schien. Aus ihrem Gewande, durch welches er zu schauen vermochte, streckte sie ihm ihren Arm entgegen. Flehentlich reichte sie dem Burschen einen Bund uralter Schlüssel dar. Der ward aber so ängstlich und fürchtete sich so sehr, daß er fort lief, ohne die Schlüssel anzunehmen.
Darauf entschwand die weiße Nonne tieftraurig und wartet bis zum heutigen Tage sehnsüchtig auf ihre Erlösung